Lit.Cologne 2018: Fuminori Nakamura

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Das „Wunderkind“ der japanischen Literatur Fuminori Nakamura gab sich am 10. März 2018 bei der LitCologne die Ehre und stellte seinen neuen Roman Die Maske vor. Der inzwischen 41-jährigen Autor, an diesem Abend mehrfach als „Wunderkind“ bezeichnet, was tief blicken lässt wie sich das Altersverständnis in der heutigen Gesellschaft verändert hat, begrüßte das Publikum kurz auf Deutsch, bevor er sich mit Hilfe seines Übersetzers Thomas Eggenberg in das Gespräch mit Sandra Kegel (FAZ) begab. Die deutsche Übersetzung des japanischen Originals, das von Nakamura gelesen wurde, trug Devid Striesow vor.
Das neue Buch Nakamuras Die Maske gilt als düster. Der Ich-Erzähler Fumihiro ist zwar kein geniales „Wunderkind“, doch er ist das Kind eines Vaters, der es nicht allzu gut mit ihm meint. Um Kinder und Väter, Gut und Böse, das Töten und die willentliche Umformung von Menschen geht es Nakamura in seinem Buch. Wie wird ein Mensch gemacht? Macht er sich selbst oder wird er gemacht? Und wenn er gemacht wird: sind es die Gene, die ihn determinieren oder ist es die formende Erziehung durch die kindliche Umwelt, die einen Menschen zu dem machen, was er ist? Und hat der Mensch dann letztlich irgendeine Chance aus dem, was aus ihm gemacht wurde, selbst doch etwas anderes zu machen?
Der Vater eröffnet im Roman dem elfjährigen Fumihiro, dass er einzig gezeugt wurde, um nach dem Willen des Vaters ein Geschwür des Bösen in der Welt zu sein und diese nach dem Tod des Vaters nach Leibeskräften zu Grunde zu richten. Der Vater beabsichtigt, seinem Sohn – gewissermaßen als erzieherische Maßnahme – die Hölle zu zeigen und dem Jungen damit auf dem Weg zum Erwachsenwerden stückweise das Menschliche auszutreiben. Der Junge, so zeigt sich früh, verfolgt jedoch andere Pläne und sucht seinem scheinbar vorbestimmten Schicksal zu entgehen. Zentrale Bedeutung erlangen dabei das Motiv des Vatermords einerseits, und der Maske andererseits, indem sich der nunmehr ältere Ich-Erzähler das Gesicht eines anderen, eines Toten, aneignet. Fumihiro ist in vielfacher Weise vorbelastet: in grundlegender Weise durch die Gene, wie sein Vater hervorhebt, und dann zusätzlich durch dessen pervertierte Erziehung und die Aussicht auf eine kommende Hölle. Der einzige Ausweg scheint der frühzeitige Vatermord, der zwar die kommende Hölle abwenden, aber doch unmittelbar aus dem Opfer einen Täter machen würde. Ein Mord, so lässt der Vater in der entscheidenden Konfrontation wissen, hinterlässt nicht nur zwangsläufig eine irreparable Verkrüppelung an der Seele, sondern würde dazu führen, dass der getötete Vater sich dem Jungen unmittelbar und unauslöschlich in die Seele brennen würde. Ein unbeschwertes Glück sei ihm damit für immer verloren. Ist damit frühzeitig das Ende der Möglichkeiten erreicht? Ist Fumihiro durch die Macht seines Vaters verloren, ganz gleich was er später mit seinem Leben anfängt? Innerhalb dieser bedrückenden Vater-Sohn-Konstellation verliebt sich Fumihiro in das Waisenmädchen Kaori. Auch sie ist ein düsterer Bestandteil der Pläne des Vaters.
Auf das Motiv der Maske angesprochen räumt der Autor ein, dass möglicherweise in der japanischen Kultur ein besonderes Bedürfnis vorherrsche, ein anderer zu werden, sich zu verkleiden, das alte ich zu überdecken. Natürlich steht bei einer solchen Handlung die Frage im Raum, wie der Autor zu seinem Thema gekommen ist. Nakamura erzählt hierzu von einer zehn Jahre zurück liegenden Fernsehsendung, im Rahmen welcher ein junger Mann dazu kam öffentlich zu fragen, warum es eigentlich verboten sei, Menschen zu töten. Zum Schrecken und zur Verunsicherung der Öffentlichkeit, konnten in der darauf folgenden Zeit auch viele Intellektuelle des Landes keine wirklich befriedigenden Antworten formulieren. Nakamura habe dies zum Anlass genommen sich selbst diese Frage zu stellen, das Ergebnis seiner Bemühungen sei der vorliegende Roman, aber auch der weltweite Terrorismus und die globalen Bedrohungsszenarien seien eingeflossen. Seine Absicht dabei eine klare und schnörkellose Sprache zu verwenden, sei auf die japanische Tradition des Haiku und des Tanka zurückzuführen.
In puncto Japan haken die Gesprächspartner jedoch nach: es sei ein ungewöhnliches Japan, das Nakamura beschreibe, weil es sehr stark von der allgemeinen Vorstellung der hoch technisierten, erleuchteten Megacity Tokyo abkäme. Der Autor räumt ein, dass er zum Zwecke der Gesamtkomposition eine gefilterte Darstellung von Tokyo gibt, die tendenziös verstärkt wird. Er folge dem Prinzip der Übertreibung und Grenzüberschreitung, daher die Diskrepanz zum allgemeinen Japanbild.
Das Gespräch über eine derartig bizarr anmutende Familiengeschichte kam dann unweigerlich auf die Familie des Autors, der, wie er freimütig bekannte, keiner glücklichen Familie entstamme. Zwar sei seine Familie bei weitem nicht so verstörend wie in seinem Roman, doch berichtet er zur Veranschaulichung von seinem Großvater, der in der Erinnerung des jungen Fuminori Nakamura, dessen Vater niemals in den Arm genommen habe, worüber jedoch in der Familie auch nicht gesprochen wurde. Der Autor, unter diesem Eindruck der Distanziertheit und Lieblosigkeit aufwachsend, erfuhr erst spät davon, dass der Großvater im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiter in einer Munitionsfabrik in Nagasaki beschäftigt war. Hier wurde er damals schwer verletzt und war zeitlebens physisch nicht mehr in der Lage den eigenen Sohn, also den Vater des Autors, zu umarmen. Das es ihm nie richtig erklärt worden sei, habe er dieses Verhalten stets als mangelnde liebe wahrgenommen. Solche negativen Familienerfahrungen, so Nakamura, übertragen sich über mehrere Generationen, was ihn wiederum zu einem überzeugten Kriegsgegner gemacht habe.
Abschließend dreht sich das Gespräch noch um die Arbeitsbedingungen von Schriftstellern in Japan. Die Zuhörer erfahren, dass die Verlagslandschaft in Japan eine grundlegend andere ist und keineswegs wie in Deutschland etwa eine familiäre Struktur mit einer starken Zugehörigkeit beinhaltet. Vielmehr werden die Autoren von verschiedenen Verlagen für jeweils einzelne Texte angefragt, ohne dass der Verlag den Autor damit an sich bindet. So arbeiten die Autoren potentiell für alle Verlage und dürfen sich im Prinzip auch nicht festlegen, um die anderen Verlage nicht zu vergrätzen. Als abschließenden Ratschlag für junge Autoren empfiehlt Nakamura die zeitliche Distanz zum eigenen Text: nach Beendigung ausdrucken, eine Weile zur Seite legen und später mit Distanz noch einmal lesen, um die eigene Objektivität zu gewährleisten. Nakamura selbst sagt von sich, dass er im Schreiben den Blick dafür verliere was er schreibt und wenn er dann nach einer Weile wieder darauf blicke, sei er erstaunt. Seine Leser sind es sicherlich auch.

Text und Bild von Simone Jawor

> Siehe auch (): Lit.Cologne  

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